„Der Bindungseffekt. Wie frühe Erfahrungen unser Beziehungsglück beeinflussen und wie wir damit umgehen können.“
Seit vielen Jahren habe ich das große Privileg, als Psychologin und Paartherapeutin Menschen in Lebens- und Beziehungskrisen ein Stück auf ihrem Weg begleiten zu dürfen: Junge Frauen und Männer, die gerade in die Arbeitswelt starten, Partnerschaften eingehen und Familien gründen; Paare in der rush hour des Lebens, die fürchten, dass ihnen vor lauter Alltagsstress die Liebe abhandenkommt; ältere Männer und Frauen, die sich nach vielen Jahren der Zweisamkeit fragen, ob das jetzt schon alles war.
Manche Ratsuchende sind hetero-, manche homosexuell, manche kommen als Paar, viele suchen für sich alleine Rat – weil der Partner, die Partnerin nichts von einer Paarberatung hält, weil eine Beziehung gescheitert ist, oder weil sie Single sind und bisher keinen passenden Lebensbegleiter finden konnten.
All diese Männer und Frauen erzählen mir vertrauensvoll von ihren Begegnungen und Erfahrungen mit der Liebe. Sie berichten von den immer gleichen Konflikten, von ihren Ängsten, nicht (genug) geliebt zu werden, sie zweifeln an sich selbst und fürchten – möglicherweise beeinflusst von der öffentlichen Diskussion des Themas –, beziehungsunfähig zu sein. Sie reden von ihrer Einsamkeit, die sie trotz Partnerschaft empfinden oder unter der sie leiden, weil sie bislang noch niemanden getroffen haben, der mit ihnen durchs Leben gehen will. Sie sprechen von ihrer Enttäuschung über den Partner oder die Partnerin, und gar nicht so selten sprechen sie auch von der Enttäuschung über sich selbst.
„Wir streiten ständig über Kleinkram.“ „Meine Frau hat sich in einen Kollegen verliebt.“ „Wir reden kaum noch miteinander.“ „Ich gerate immer an die falschen Männer (falschen Frauen).“ „Manchmal habe ich den Eindruck, ich rede gegen eine Wand.“ „Sie akzeptiert meine Kinder aus erster Ehe nicht.“ „Er kontrolliert mich ständig, ich habe gar kein Privatleben mehr.“ „Er kann eiskalt werden, wenn ich etwas von ihm will.“ „Ich kann es nicht leiden, wenn ständig jemand an mir klebt.“ „Schon wieder ist eine Beziehung gescheitert, die dritte in zwei Jahren. Was stimmt mit mir nicht?“ „Sie hat mich mit meinem besten Freund betrogen.“ „Ich habe das Gefühl, ich bin inzwischen für Männer unsichtbar.“ „Die Frauen, die ich kennenlerne, haben über kurz oder lang immer was an mir auszusetzen.“ „Im Laufe der Zeit habe ich interessante Männer getroffen. Aber ich muss was an mir haben, was sie vertreibt.“ „Ich hätte gerne mehr Sex mit meiner Frau, aber sie will nicht. Sie sagt, sie liebt mich, aber ich kann es nicht wirklich glauben.“ „Ihr Ex-Mann steht zwischen uns. Sie spricht zwar nicht von ihm, aber ich weiß, dass er noch ein Konkurrent ist.“ „Ich stehe zwischen zwei Männern und weiß nicht, wie ich mich entscheiden soll.“ „Er liebt sein Kind aus erster Ehe mehr als mich.“ „Wie sollen wir zusammen alt werden, wenn wir nicht miteinander reden können.“
So unterschiedlich die jeweiligen Probleme und Anliegen auch sind, alle Liebesunglücklichen hoffen, dass sich ihre Situation möglichst kurzfristig zum Besseren verändern lässt. Sie möchten lernen, was Beziehungen im Allgemeinen und ihre Beziehung im Besonderen erfolgreich macht. Sie wollen an sich arbeiten und erfahren, wie sie mehr Leichtigkeit in ihre Zweierbeziehungen bringen können und was ihnen zu einer effektiveren Kommunikation, einem erfüllteren Sexualleben und insgesamt zu einem harmonischeren Zusammenleben verhilft. Sie wünschen sich, dass der Partner, die Partnerin endlich einsichtig ist und Veränderungsschritte einleitet.
Verständliche Wünsche, verständliche Erwartungen. Doch auf der Suche nach einer Lösung für ihre Liebesprobleme suchen viele am falschen Ort. Krisen in der Partnerschaft, häufige Trennungen oder unerfüllt bleibende Beziehungswünsche sind nicht ausschließlich auf individuelle Schwächen und Fehler zurückzuführen oder auf die Unfähigkeit des Partners. Aktuelle Schwierigkeiten mit der Liebe haben oft weniger mit dem Menschen zu tun, mit dem man Tisch und Bett teilt oder teilen möchte, sondern viel mehr mit der ersten Frau oder dem ersten Mann im Leben. Viele Männer und Frauen, die an der Liebe leiden, wissen nicht, dass sie das möglicherweise bereits seit Anbeginn ihres Lebens tun.
Gibt es Probleme in einer Partnerschaft, dann sollten wir uns mit unserer ersten Liebesbeziehung befassen. Das kann helfen, immer wiederkehrende Beziehungskonflikte zu verstehen. Denn: Wie gut Beziehungen im Erwachsenenalter gelingen, hängt zu einem sehr großen Teil von den Erfahrungen in der frühen Kindheit ab. Die Erfahrungen, die wir mit der ersten Liebe unseres Lebens machen mussten oder durften, formten das Modell, wonach wir heute Beziehungen gestalten. Man kann sagen: Die erste Liebesbeziehung ist der Beziehungsprototyp, den wir in unserem „Kindheitsrucksack“ mit uns herumtragen. Nicht immer ist dieser Rucksack eine Last. Aber manchmal tragen wir schwer daran.